Die Lichtgestalten von Aurelia Wasser entwuchsen in einem kontinuierlichen Prozess entlang der vertikalen Achse den Gemälden der Künstlerin. Die Skulpturen nehmen eine eigenständige Persönlichkeit und jeweils ganz individuelle Züge an.
Ich denke: Das unendliche Licht nimmt endlich Gestalt an /
Ich denke auch: Die mir dunkelvertrauten Gestalten der Aurelia Waßer nehmen Licht an /
Ich sehe aber: Wie das Licht in den Augen der Künstlerin, unter ihren Händen, im handgeschöpften Papier aus den luftdünnen Höhen des Himalaya, Gestalt wird, eigenartig lichte Gestalt /
Treten womöglich die alten Erdverbundenen, die beklommenen Bewohner unserer Seelen, heraus ans Licht /
Aus Sägemehl und Asche und Wachs und Pigment, aus dem Gewebe der Leinwand, aus den Leinen heraus ins befreiende Licht /
Sind das die schattigen Gestalten, wirklich Waßers in Acryl gebundene Gestalten, die, aus den Bildern getreten, Licht angenommen haben /
Vielleicht wie der feurige Phönix, der, zu Asche zerfallen, aus Asche ersteht, leichter als zuvor, lichter als zuvor, feuriger als zuvor /
Und das immer wieder, unsterblich wie das Licht, eine Lichtgestalt /
Aber nein:
Hier sind doch Andere, lichte Gestalten von anderwärts her, aus unermesslichen Zeiten und unbestimmten Fernen /
Lichte, nicht bloß Erleuchtete; Leichte, nicht bloß Erleichterte; Unendliche, nicht bloß Unsterbliche; Fremde, nicht bloß Verfremdete /
Zugegeben: Es wäre so schön zu verweilen bei den vertrauten Gestalten aus Waßers Werk, ihrer ruhigen Melancholie, ihrer Schwarzerdigkeit; um zu erleben, wie sie hier Sägemehl und Asche und Wachs und Pigment abstreifen, die endlich befreiten Gebundenen; um ihnen zu huldigen in den vertrauten Gesängen der Aufklärung von Entwicklung und Befreiung und Erleuchtung; um ihren Austritt zu feiern aus der Höhle der selbstverschuldeten Verschattung; um endlich den Menschen zu feiern, uns selbst, geschmückt mit den unermesslich lichten Möglichkeiten einer kosmischen Lichtgestalt /
Aber nein: Hier stehen Andere als wir in Bestform; Lichtere als wir in Lichtform; Leichtere als wir in Lightversion /
Hier stehen Fremde, befremdlich aus uns selbst Unableitbare; keine Bewohner unserer Seelen, sondern autonome Wesen aus Licht; freie Gestalten in offener Bewegung, in Tanz, Rausch und Ekstase, hingegeben an ihr luftdünnes Element /
Nicht bloß aus dem Acryl entsprungene Papierene, die wir selbst sein könnten, sondern uns lichte Gegenüber /
Anthropomorphe Wesen, ewig weibliche Lichtträger, die für einen unvorsichtigen Augenblick rauschhaft entschwebt sind aus einem unendlich ungreifbaren Hintergrund und von einer wachen künstlerischen Aufmerksamkeit in Leim und Papier gezogen wurden, hervorgezogen, und so in ihrer Unsichtbarkeit ahnbar, in ihrer Ungreifbarkeit spürbar werden /
Im transluzenten Papier wunderbar leicht aufgehoben, atmen sie Licht, fließt ihr luftiger Tanz weiter /
Im Faltenwurf der lichten Gewänder fächern sie sich auf ins Offene, ins unbegrenzte Leben /
Hier sind gewiss Andere, ganz Andere als wir /
Hier sind lichte Gestalten //
AUTOR
– Stefan Jooß –